Frauen

Abschied nach 21 Jahren als Frauenreferentin

Liebe Leser*in,

ich möchte mich nach 21 Jahren als Frauenreferentin im Kirchenkreis bedanken und verabschieden.
Danke für Ihr Interesse, Ihr Mitdenken, Ihre Teilnahme, Ihre Anregungen, unsere Diskussionen und das wertschätzende Miteinander. Ich habe die Zeit sehr genossen und viel Input bekommen. Es war eine wertvolle Zeit für mich.

 Das "Kirche unterwegs"-Team will Urlaubern zuhören

Die ausgebildeten Sozialpädagogen und Erzieher wollten für Camper und Tagesgäste in dem Camping-Park da sein und ihnen zuhören. „Das ist so ein schöner Ort, um ins Gespräch zu kommen, über seine Nöte zu reden  und über Gott und die Welt nachzudenken“, findet auch Christin Nitsch, die ebenfalls zum „Kirche unterwegs“-Team an der Bevertalsperre gehört.

Pfarrerin Annette Cersovsky ist froh, dass  die Organisatoren Unterstützung von Pfarrern gleich aus mehreren Kirchengemeinden im Kirchenkreis Lennep erhalten.

Auch in unserem Themenjahr "Kirche für Klima - Schöpfung bewahren" mobilisierte sie mit wichtigen Veranstaltungen.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass ich nicht gehe, weil ich denke, dass ein Frauenreferat nicht mehr notwendig sei.
Im Gegenteil, die Ereignisse in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Gleichstellung in Deutschland und in der Welt nur eine „Schönwetter-Gleichberechtigung“ ist, wenn überhaupt.

Einige Beispiele:
Die Klimakrise zeigt ihre Auswirkungen nicht nur unterschiedlich in Bezug auf den globalen armen Süden und reichen Norden, sondern zusätzlich auch in Bezug auf Mann und Frau.
Frauen sind stärker betroffen – überall auf der Welt

- so steigt die Zahl der Frühgeburten und der gesundheitlichen Probleme während Schwangerschaften in Hitzewellen, auch in Europa

- bei dem Tsunami in Bangladesch starben 9 x mehr Frauen als Männer: Gründe dafür sind, dass Frauen häufig keine Handys hatten und daher nicht gewarnt wurden, dass sie dann noch versuchten ihre Familie zu retten und danach erst sich selbst. Zusätzlich können Frauen in Bangladesch häufig nicht schwimmen

aber Rollenbilder können auch für Männer tödlich sein:

- in Australien starben bei den Buschbränden mehr Männer als Frauen, weil sie nicht auf Ratschläge der Behörden hörten, sondern als Beschützer versuchten ihre Häuser zu retten bis es zu spät war

- die WHO hat für Europa festgestellt, dass während der Hitzewelle 2003 mehr Frauen als Männer starben, oft wegen Flüssigkeitsmangel. Eine mögliche Erklärung der WHO lautet: „Und zwar, weil Frauen oft eher erst für andere sorgen, bevor sie für sich selbst sorgen, letztendlich also aufgrund von traditionellen Rollenzuschreibungen.“

- in den USA hingegen sterben mehr Männer an der Hitze, weil sie im Straßenbau und anderen Bereichen außerhalb klimatisierter Räume arbeiten und die Arbeitsbedingungen nicht der Hitze angepasst sind

- in ärmeren Ländern hungern mehr Frauen als Männer, weil Männer aufgrund der herrschenden Rollenbilder zuerst und mehr Nahrung bekommen als Frauen.

- Die Korona-Pandemie zeigt eindrücklich, wie sehr Krisen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verstärken oder sogar wieder beleben.
Frauen sind in Kindergärten und Pflegeberufen besonders stark vertreten und dort hohen Ansteckungsrisiken ausgesetzt.
Frauen waren während des Lockdowns größeren Stressfaktoren ausgesetzt, weil sie neben des Homeoffice zusätzlich noch die Kinderbetreuung und -beschulung übernommen haben. Sie waren mehr häuslicher Gewalt ausgesetzt, weil sie keine Möglichkeit des Hilfesuchens hatten. Sie waren mehr Armutsrisiken ausgesetzt, weil sie häufig aufgrund der Arbeitsverhältnisse kein Kurzarbeitsgeld bekommen haben.

- Die Care-Arbeit dominiert: in Deutschland das Erwerbsleben, wenn erst Kinder und pflegebedürftige Angehörige versorgt werden müssen, bevor eine eigene Berufstätigkeit aufgenommen wird. Alleinerziehend zu sein ist in Deutschland das höchste Armutsrisiko! Plätze in Kindergärten und im offenen Ganztag fehlen. – in ärmeren Ländern leidet auch die Bildung, wenn die Care-Arbeit aufgrund von z.B. Wassermangel immer aufwendiger wird und daher der Schulbesuch von Mädchen aufgegeben wird.

- auch in den USA haben nach dem Wirbelsturm Katrina vor allem Frauen ihre Jobs aufgegeben um Wiederaufbau zu leisten

- Frauen in Fluchtsituationen sind häufiger geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt: Vergewaltigung, Kinderehe, Zwangsprostitution

Deutlich erhob die engagierte Frauenreferentin bei Aktionen wie "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen".

- insgesamt nimmt die Gewalt von Männern gegen Frauen in Krisenzeiten zu. Eine wissenschaftliche Erklärung ist, dass die Rollenbilder dem Mann Stärke und Härte vorschreiben und die daraus resultierende Überforderung und fehlender Zugang zur Reflexion der eigenen Gefühle sich in Gewalt entlädt - ein Phänomen, welches sich auch in männerdominierten Berufen zeigt, welche Stärke und Gewalt im Berufsbild haben: z.B. Polizei und Bundeswehr

- der Alltag und die Mobilität von Frauen und Mädchen ist auch in Deutschland eingeschränkter im Gegensatz zu Männern: Wege und Zeiten, sich außerhalb des Hauses aufzuhalten, sind begrenzter

- es gibt No-Go-Areas in den Städten für Frauen und No-Go-Zeiten

– junge Mädchen in den Berufsschulen berichten von Übergriffen, verbaler und körperlicher Art in öffentlichen Verkehrsmitteln - und niemand greift ein

- die Situation von Frauen und Mädchen in Deutschland mit anderen kulturellen Hintergründen ist noch weitgehend unbearbeitet: Beschneidung – keine Recht auf höhere Bildung – Zwangsheirat – keine Schutzräume in Sammelunterkünften

- über den Gender-Pay-Gap wissen alle Bescheid

- in Datenerhebung werden Frauen häufig nicht beachtet, so dass hier Forschung fehlt und die Folgen häufig tödlich sind: die unterschiedlichen Symptome bei Herzinfarkt sind mittlerweile untersucht – Sicherheitsgurte in Autos sind auf die männliche Konstitution ausgelegt, so dass Frauen bei Unfällen schwerere Verletzungen erleiden – Medikamente sind für Frauen oft falsch dosiert, weil sie an männlichen Probanden getestet werde n– Frauenspezifische Forschung fehlt, z.B. zum Thema Menstruation: fast alle Frauen haben Beschwerden, ¼ aller Mädchen können auch in Deutschland wegen Menstruationsbeschwerden zeitweise nicht zur Schule gehen – aber Untersuchungen zu Ursachen und entsprechende Hilfen fehlen

- Gefahr von rechter und evangelikaler Seite steigt: zementierte Rollenbilder - Frauen kommen nicht in Leitungspositionen – das Recht auf Abtreibung wird infrage gestellt

- auch unsere tradierten christlichen Überlieferungen sind noch nicht ausreichend aufgearbeitet:  Geschlechter reduzieren sich auf Mann und Frau, statt auf männlich und weiblich in unterschiedlichen Ausprägungen, obwohl der aktuelle wissenschaftliche Diskurs etwas anderes belegt

Ihnen fallen bestimmt noch viel mehr Themen ein …

Ich habe mich als Frauenreferentin  immer um Vernetzung bemüht: mit anderen kommunalen und verbandlichen Akteur*innen, mit anderen Kirchenkreisen, der Landeskirche, mit anderen Religionen
Mir war es wichtig, Kirche als relevant für die Gesellschaft und die Themen vor Ort darzustellen und häufig habe ich positive erstaunte Reaktionen bekommen, wenn ich als Vertreterin der Kirche zu Themen wie Gewalt oder LGBTIQ+ aktiv war.

Diese öffentliche Sichtbarkeit und Parteilichkeit von Kirche war mir genauso wichtig wie die individuelle Stärkung von Frauen in spiritueller Hinsicht.

Kirche ist ein Abbild der Gesellschaft, ist Teil der Gesellschaft und trägt Verantwortung in der Gesellschaft.

Ich möchte daher an Sie alle appellieren, den Blick auf die unterschiedlichen Lebenssituation und -bedingungen von Frauen in Deutschland und auf der Welt nicht aus dem Blick zu verlieren.
Wir sind noch lange nicht am Ziel der Gleichberechtigung und der gesellschaftliche Trend, bei Krisen in alte Rollenbilder zurückzufallen, weil sie vermeintlich Sicherheit versprechen, wächst.

Bitte bleiben Sie aktiv beim Thema Gerechtigkeit.
Ich danke Ihnen!

Andrea Hansen, bis zum 31.12.2022, Frauenreferentin im Ev. Kirchenkreis Lennep, hielt auf der Herbstsynode des Kirchenkreises 2022 ein letztes leidenschaftliches Plädoyer dafür, das Thema Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht aus den Blick geraten zu lassen.